Echo Lake – Donner Ski Ranch

von | 1. Aug. 2022 | Allgemein, Pacific Crest Trail, Pacific Crest Trail PCT

27. – 30. Juli 2022
km 1757.9 – km 1’856.1

Der erste Tag in Northern California haute mich fast aus den Socken. Ein See nach dem anderen lag zu meinen Füssen.

Start war am Echo Lake. Der tiefblaue See umsäumt von Tannen und Bergen. Eine Fähre bringt Touristen an die andere Seite, von wo aus sie ihre Tageswanderungen starten.

Der PCT führt beim Châlet am Echo Lake rechtsseitig in die Berge. Dem ganzen Ufer entlang liegen versteckt hinter Felsen und Bäumen kleine Ferienhäuser. Diese Bewohner können ihr Heim nur mit dem Boot erreichen. Am Ende des Echo Lakes schlängelt sich der Trail langsam aber stetig in die Höhe. Dann plötzlich öffnet sich das Tal und vor mir liegt glitzernd der Lake Aloha. Der leise Wind streicht sanft über die Oberfläche. Das Panorama rundherum spiegelt sich in ruhigen Momenten im See.

Wir waren kurz vor Mittag gestartet. Sara, Marc, Golden, Tink und ich bildeten eine Gruppe. Bereits nach wenigen Metern hatte ich den Anschluss verloren. Mit meinen schweren Schuhen konnte ich dem leichten Tritt meiner Hiker Buddys nicht mithalten.

Doch das war kein Problem! Wirklich nicht? Auch nach 84 Tagen auf dem Trail hatte ich Mühe damit zu akzeptieren, dass ich langsamer war. Meinem Herz war es schon lange egal, wie schnell ich wanderte. Doch der Kopf wollte immer wieder zurück ins Hamsterrad. Wenn ich mein Herz fragte, konnte es das nicht begreifen. Es war so was von unwichtig. Doch ich komme aus einer Welt in der vor allem Leistung und Geschwindigkeit zählen. ‘Je schneller du dich im Hamsterrad bewegst, umso höher die Anerkennung.’ zischt der Kopf. Doch das Herz weiss es besser: ‘Je ruhiger umso weiser.’ Gedanken können erst fertig gedacht werden, wenn der Kopf ausgeschaltet wird. Und genau diese Weisheit wurde mir in den nächsten Tagen bewiesen.

Am Lake Aloha angekommen sah ich gerade noch wie sich Sara und Marc – nach ihrer Mittagspause – weiter auf den Trail machten. Golden und Tink sassen auf einem riesigen Stein und liessen sich von der Sonne verwöhnen. Ich wollte nicht stören und setzte mich in einiger Entfernung bequem ans Wasser. Dort badete und massierte ich meine Füsse, kochte ein Mittageessen. Nein, kein Kartoffelstock, sondern Rahmennudeln mit ‘Chicken’ Geschmack und ein Twix to share. Im Twix to share befinden sich vier Riegel, damit man eben teilen kann. Da niemand in der Nähe war verspeiste ich alle vier Teile. Zu guter Letzt kochte ich mir auch noch einen Kaffee.

Dann ging es in ein weites Tal. Rechts ein See, links ein See und ein steiler, steiniger Abstieg. Mein Ziel war für diesen Abend der Gillmore Lake. Ich rechnete damit dort Sara und Marc wieder anzutreffen. Auf der Campsite sah ich nur andere Hiker. Ich baute mein Zelt auf und bald lag ich im Schlafsack. Ich schlief traumlos und der Wecker machte mir um 04:30 Beine. Da wir noch immer in der Desolation Wilderness waren und der Bear Canister Vorschrift war, stand ich auf und holte den Canister ins Zelt. Ich kochte mir einen Kaffee, rührte mein Müesli mit etwas Wasser an.

In der Zwischenzeit setzte die Dämmerung ein. Ich organisierte mich im Zelt, zog mich um, verpackte alles in wasserdichte Säcke und kroch aus meiner Behausung. Inzwischen war es so hell, dass ich das Zelt ohne Stirnlampe abbrechen konnte. Kurz vor sechs in der Früh wanderte ich wieder auf dem Trail. Ich war alleine unterwegs.

Nach über achtzig Tagen wusste ich, dass ich jeden Morgen drei bis fünf Kilometer brauchte, bis meine Füsse sich an den Tritt gewohnt waren und ich schmerzfrei wandern konnte. Doch an diesem Tag war alles anders. Bereits in der Nacht wachte ich auf, weil meine Füsse schmerzten. Ich konnte lange nicht schlafen. Im Schlafsack auf der Luftmatratze zu liegen ist an und für sich bereits eine Herausforderung. Denn jedes Mal, wenn ich mich umdrehe verrutscht die Matratze und der Schlafsack und irgendwann hast du so ein richtiges Gewuschel. Wenn dann noch die Füsse schmerzen!

Als ich morgens die Wanderschuhe anzog und mich aus dem Zelt hievte, ging das nicht ohne Schmerzen. Anfangs dachte ich mir nichts dabei. Doch als dieses Unwohlsein der Füsse auch nach eine gute Stunde Wanderzeit nicht besser werden wollte, wurde ich schon etwas nachdenklich. Was hatte ich gegessen? Echt jetzt. Diese Frage stellte ich mir oft. Die Antwort darauf war einfach. Ich frass einfach alles, was mir in die Quere kam. Am liebsten Snickers und Twix zum Zmorgä und zwischendurch!

Doch die Geschichte mit meinen Füssen ist anders. Ich hatte immer, mein ganzes Leben lang, Probleme mit den Füssen. Sie sind riesig. Aktuell trage ich Wanderschuhe von Lowa in der Grösse 51. In der Rekrutenschule erhielt ich zu kleine Schuhe, da es im Zeughaus in Bellinzona wahrscheinlich keine grösseren gab. Ich hatte ständig Blasen und schmerzende Füsse. Später stellte sich heraus, dass ich einen Plattfuss und einen Knickfuss hatte. Im Unispital in Zürich verpasste man mir einmal einen Gips, da man auf dem Röntgen eine Frakturlinie sah. Dann stellte sich heraus, dass ich zwei Knochen zu viel hatte.

Wenn ich nach einem Ironman grauenhafte Schmerzen hatte, dachte ich mir, dass das halt normal sei. Weil so ein Ironman ist an sich eine etwas gestörte Sache.

Doch vor einem Jahr fanden die Ärzte im Balgrist nun heraus, dass es sich um einen Genfehler handelt. Die beiden Knochen, die zu viel sind, würden ständig leicht aneinander reiben und dadurch signalisiert der Köper Schmerzen. Im Prinzip sei nichts kaputt, doch die Schmerzen seien einfach da. Natürlich könne man das operieren. Dauer 4 – 6 Monate pro Fuss! Mit diesen Füssen wandere ich nun auf dem PCT. Und es ist wirklich so, dass meine Füsse meine Stimmung wiedergeben! Helfen tun vor allem auch die orthopädischen Einlagen von Heusser, weil diese den Fuss aufstellen.

Ich sah die Landschaft kaum mehr. Die Schritte wurden kürzer, das Tempo langsamer. Abends stellte ich mein Zelt auf und nahm eine Schmerztablette. So würde ich wenigstens Durchschlafen können. Das konnte ich. Jedoch wachte ich mit groben Kopfschmerzen auf. ‘Was war den das nun?’ schoss es mir durch den Kopf. Ich nahm nochmals eine Tablette und so ging es über einige Stunden ganz gut vorwärts. Dann kamen Gliederschmerzen dazu. Ein Sommergrippe!

Inzwischen war ich durch verschiedene Skigebiete gewandert. Das Beste an den Skigebieten ist, dass es in jeder Ecke Handy Empfang gibt. Also schnell ein paar Fotos nach Hause senden und mit der Traumfrau ein paar Worte wechseln. Allein ihre Stimme liess mich über den Trail fliegen und die Schmerzen vergessen.

Die Landschaft änderte sich wieder gewaltig. Der Tannenwald erstreckt sich über viele Hügel. Das Wasser wurde wieder knapp. Ich verpasste es nur einmal genug Wasser zu filtern. Doch inzwischen konnte ich damit umgehen. Es war wieder sehr heiss geworden. Ich wunderte mich, wie in dieser Umgebung Ski gefahren werden konnte. Denn die Steine auf der Piste waren oft einen halben Meter hoch. Es musste also ganz gewaltig schneien, damit eine Piste präpariert werden konnte.

Die ganzen Tage war ich allein unterwegs. Nach einem weiteren Tag kam ich an den Donnerpass. Autor Willi Näf hat ein wunderbares Buch geschrieben, in dem die Donner Party beschrieben wird. Eine legendäre Geschichte Amerikas. Das Buch ‘Seit ich tot bin, kann ich damit leben’ von Willi Näf schaut in einem interessanten Interview darauf zurück.

Ich entschloss mich am Donnerpass eine Pause einzulegen. Ein kühles Bier, etwas Feines zu essen und ich wurde wirklich überrascht. Alle sassen sie da am Tisch. Tinki, Golden, Sara und Marc waren ebenfalls in der Donner Pass Ski Ranch. Und ich hatte das Gefühl, ich sei sowas von langsam. Ich hatte mir die Zeit genommen Gedanken fertig zu denken, war irgendwie mit einer Sommergrippe krank. Doch ich ging nicht zurück ins Hamsterrad und war zur selben Zeit am selben Ort wie meine Hiker Buddys. So geht das!

Dann überschlugen sich die Ereignisse. Ein halbes Dutzend ‘Wildfire’ hatten sich in den letzten drei Tagen entzündet. Der PCT ist insgesamt über 300 Meilen gesperrt. Das zwingt mich dazu meine weitere Wanderung neu zu planen und zu überdenken. Zusammen mit Sara und Marc liessen wir uns nach Trackee chauffieren und werden nun schauen, wie es weitergeht.

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